Mit der Inbetriebnahme des Stadtbahntunnels in Karlsruhe beginnt auch für das Fahrpersonal der Verkehrsbetriebe Karlsruhe (VBK) eine neue Zeitrechnung: Wenn die Bahnen voraussichtlich ab Dezember 2021 in die Tunnelröhren unter der Innenstadt abtauchen, steuern die Fahrerinnen und Fahrer die Bahnen nicht mehr „auf Sicht“ von Haltestelle zu Haltestelle. Stattdessen verkehren sie zukünftig auf einem Fahrweg mit Zugsicherung, das heißt, sie orientieren sich wie die Kollegen im Eisenbahnbetrieb bei der Albtal-Verkehrs-Gesellschaft (AVG) vollständig an Signalen.
Um die Fahrer fit für den unterirdischen Bahnverkehr zu machen, führen die VBK in den kommenden Monaten für ihr Fahrpersonal umfangreiche Schulungen mit verschiedenen Unterrichtsinhalten durch. Hierfür hat der Elektrotechnik-Student Konstantin Gerstner nun im Rahmen seiner Bachelor-Arbeit an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) eine kabellose Anlage für Zugsicherungssignale entwickelt – und für die Bedienung die dazu passende App geschrieben.
Komfortable Bedienung via App und Tablet
Gerstners Modell ist eine technische Weiterentwicklung eines bereits bestehenden Prototyps, den der Student Ende des Jahres zusammen mit Peter Masino von der Projektabwicklung der AVG konstruiert hatte. „Dieser Prototyp musste aber noch über ein Kabel und ein Bedienpult angesteuert werden und war deshalb relativ unhandlich“, erklärt Gerstner. „Die neue Schulungsanlage ist wesentlich kompakter und leichter und wird mit einer App über ein Tablet bedient. Das ist deutlich komfortabler für die Ausbilder in der Fahrschule und man kann man die Signalanlage nun auch flexibler an verschiedenen Orten zu Schulungszwecken einsetzen“, fasst er die Vorzüge des neuen Konstrukts zusammen, das seit ein paar Tagen offiziell im Einsatz ist und insgesamt 32 verschieden Signalbilder darstellen kann.
Insgesamt werden in den nächsten Monaten rund 450 Bahnfahrer der VBK auf die höheren Anforderungen der Tunnelfahrten vorbereitet. Hinzu kommt noch das Fahrpersonal der AVG, sowie der Deutschen Bahn und der MEV Eisenbahn-Verkehrsgesellschaft mbH, das auf Zügen der AVG eingesetzt wird aber mit Signalbildern im Eisenbahnbetrieb bereits vertraut ist. Insgesamt werden damit etwa 1.200 Fahrer die Tunnelschulungen durchlaufen. Mit der neuen Signal-Schulungsanlage wollen die VBK ihre Tramfahrer bestmöglich auf den Start desTunnelbetriebs in gut einem Jahr vorbereiten.
Anlage ist auf Bedürfnisse des Schulungsteams zugeschnitten
„Wir hätten für einen hohen fünfstelligen Betrag eine solche Anlage auch bei Anbietern auf dem freien Markt einkaufen können“, erklärt Peter Masino von der AVG-Projektabwicklung, der für den Bau des Stellwerks im Karlsruher Stadtbahntunnel zuständig ist und Gerstners Projektarbeit mit betreut hat. „Aber wir fanden es reizvoller, mit einem unserer Dualen Hochschulstudenten, die stets viele neue Ideen in unser Unternehmen einbringen, eine hauseigene Lösung zu entwickeln, die nicht nur kostensparender, sondern vor allem auf unsere individuellen Bedürfnisse zugeschnitten ist. Solch eine Anlage zu konstruieren, die dann bei uns im Unternehmen wirklich zum Einsatz kommt, war zudem ein großer Motivationsfaktor für Konstantin Gerstner und er kann sehr stolz auf seine Arbeit sein“, so Masino.
Nach der Bestellung der notwendigen technischen Komponenten machte sich Gerstner ans Werk – mit großer Unterstützung verschiedener Fachabteilungen der VBK und AVG, etwa der Schlosserei, Lackiererei oder der Bahnmeisterei in Ettlingen. Schwerpunkt seiner Arbeit war dabei der Aufbau eines neuen Verteilerkastens, die Programmierung der neuen Software für die Steuerung und die Entwicklung der app-basierten Benutzeroberfläche, mit der die Signalbefehle ausgewählt und dann per Bluetooth übermittelt werden.
„Die große Herausforderung bei dem Projekt lag darin, die Idee auf dem Papier in die Praxis umzusetzen. Ich hatte ja keine Blaupause, keine Anlage, die ich einfach nachbauen konnte“, sagt Gerstner. „Und für die App musste ich eine Benutzeroberfläche entwickeln, die für die Ausbilder in der Fahrschule übersichtlich, leicht verständlich und intuitiv zu bedienen ist. Schließlich müssen sie mit dieser Anlage tagtäglich arbeiten“, sagt Gerstner. Deshalb tauschte er sich eng mit den Ausbildern der Fahrschule aus und ließ deren Wünsche und Anregungen in sein Projekt einfließen, bevor er die fertige Anlage nach acht Wochen Entwicklungsarbeit mitsamt einer 13-seitigen Bedienungsanleitung nun dem Ausbilder-Team übergab.
Bachelor-Arbeit als Türöffner für den Berufseinstieg
Von dem Ergebnis der Bachelor-Thesis zeigte sich auch Martin Sauerteig beeindruckt. Der Diplom-Ingenieur doziert an der DHBW und betreute die Abschluss-Arbeit von Gerstner. „Konstantin Gerstner hat in seiner Bachelor-Arbeit nicht nur das eigentliche Thema schnell und sehr gut erarbeitet sondern bereits in der Konzeptionsphase sehr professionell alle Projektbeteiligten stark eingebunden, um die theoretischen und praktischen Wünsche und Anforderungen gegeneinander abzuwägen und zu optimieren. Dafür wurde ihm auch im Abschlussvortrag für seine Arbeit von allen Anwesenden eine hohe Akzeptanz in den Abteilungen bescheinigt“, lobt Sauerteig seinen Studenten. “Dies wiederum ist die Basis dafür, dass seine Bachelor-Arbeit über längere Zeit zum produktiven Einsatz kommt. Ein sehr gutes Beispiel für die Vorteile des dualen Studiums“, betont der DHBW-Dozent.
Der erfolgreiche Abschluss des Projekts markiert für Gerstner das Ende seines Dualen Studiums bei der AVG nach sechs Semestern. Einen Anschlussvertrag bei der AVG oder den VBK hat er bereits in der Tasche – dank seiner Bachelor-Arbeit, die ihm die Karrieretür bei dem kommunalen Verkehrsunternehmen geöffnet hat. „Ich werde die neue Schulungsanlage gerne auch weiterhin technisch betreuen, denn sie ist ja auch ein bisschen mein Baby“, freut sich Gerstner auf den Start ins Berufsleben – und natürlich auf die Eröffnung des Stadtbahntunnels im Dezember 2021.