„Was, das machen jetzt auch Frauen?“ Tamara Weschler wurde das kürzlich auf einem Geburtstagsfest von einem erstaunten älteren Herren gefragt. Dem über 90-jährigen Opa eines Freundes hatte sie von ihrem Beruf erzählt: Die 28-Jährige bildet bei der Albtal-Verkehrs-Gesellschaft (AVG) neue Stadtbahnfahrer aus und seit kurzem hat sie auch die Lizenz zum Prüfen. Weschler ist die jüngste Ausbilderin, die die AVG je hatte (männliche Ausbilder eingeschlossen) und als Eisenbahnfahrerin ist sie in Deutschland eine echte Exotin. Nur rund vier Prozent beträgt der Frauenanteil in diesem Arbeitsfeld – der körperlich eher harte Cargo-Bereich ist da allerdings inbegriffen. Bei der AVG sind immerhin rund zwölf Prozent der Triebfahrzeugführer weiblich – Tendenz steigend.
Mit dem Senior tauschte sie an dem Abend noch Fachwissen aus. Er war total begeistert. „Wenn ich den Leuten erzähle, ich fahre Eisenbahn und dürfte mit der nötigen Fahrzeugkunde auch einen ICE bedienen, sind sie überrascht“, berichtet Weschler. Wahrscheinlich passen die Bilder im Kopf der Menschen nicht mit dem zusammen, was die junge Frau verkörpert. Denn wenn die gebürtige Karlsruherin ihren Schülern am AVG-Sitz in Ettlingen zeigt, wie man die Kupplung der Stadtbahnen bedient oder an der Tafel Fachwissen skizziert, dann glitzern die Strass-Steinchen auf ihren langen rosa Fingernägeln im Licht. Die Lippen ziert ein schöner Rotton und die Haare werden häufig auf den richtigen Sitz geprüft. Dennoch ist sie keine „Tussi“. „Sonst hätte ich vor der Klasse keine Chance“, sagt die Ausbilderin. Die Schüler – viele deutlich älter als Weschler - akzeptieren sie als Lehrerin. Selten habe sie da Probleme. „Allerdings musst Du von der ersten Sekunde an, klarmachen, wer der Chef ist. Das richtige Auftreten ist echt wichtig. Sie testen dich nämlich“, berichtet die 28-Jährige von sehr speziellen Fragen, die insbesondere männliche, sehr eisenbahnaffine Kollegen ihr gleich in der ersten Theoriestunde stellen. „Wenn Du da nicht richtig reagierst, hast Du verloren. Aber wenn Du gut konterst, den Respekt gewonnen.“
Tamara Weschler ist tough und sie weiß, was sie will. Es ist nämlich genau dieses enorm umfängliche Eisenbahnwissen, das sie als Auszubildende bei ihren damaligen Lehrern und heutigen Kollegen so bewunderte. „Die hatten einfach immer eine Antwort auf meine Fragen, das fand ich cool.“ So cool, dass sie das auch machen wollte. Nach drei Jahren Fahrdienst bewarb sich die Hundeliebhaberin für die Ausbilderstelle. Da war sie gerade 25. „Es war das erste Mal, dass ich bei all‘ der positiven Stimmung mir als Frau gegenüber so etwas wie Feindseligkeit spürte. ‚Die ist doch noch so jung, die hat ja gar keine Erfahrung‘, sagten viele damals.“ Aber sie bekam die Stelle und sie etablierte sich in einer vermeintlichen Männerdomäne – „auch wenn ich beim ersten Mal vor der Klasse natürlich die Hosen voll hatte“, gibt Weschler ehrlich zu. Neben den praktischen Einheiten im Fahrsimulator und auf den Eisenbahnstrecken im AVG-Gebiet beinhaltet die Ausbildung sehr viel Theorie. Rund sieben dicke Aktenordner paukt die junge Frau mit ihren Schülern durch. Sie weiß das allermeiste auswendig, was darin steht. „Und es kommt ständig Neues dazu. Mit jedem Vorfall auf den deutschen Strecken, ändert sich ein Regelwerk. Das Eisenbahnwesen lebt. Da wird dir nie langweilig“, schwärmt sie. Ihren Schülern will sie eine gute Lehrerein sein – das sieht sie als tägliche Herausforderung. „Ich will, dass sie bestehen, dass sie richtig gut sind“, sagt Weschler. „Wenn sie mich dann auch noch nett finden, so wie ich meine Ausbilder toll fand, dann habe ich gewonnen.“
Seit April dieses Jahres darf die 28-Jährige auch Prüfungen abnehmen und hat aktuell alle Hände voll zu tun. Denn die AVG bildet seit einigen Jahren verstärkt Triebfahrzeugführer aus. In neun Monaten erlernen die Bewerber das Straßen- und Stadtbahnfahren. Sie sind damit Quereinsteiger – genau wie Tamara Weschler auch. Die junge Frau ist ausgebildete Altenpflegerin. „Das habe ich einige Jahre gemacht und dann gesagt: Das geht nicht mehr.“ Sie hatte eine Festanstellung im Heim und musste zusätzlich als 400-Euro-Kraft ambulante Pflege erbringen, um ihre Wohnung bezahlen zu können. Und das bei so harter körperlicher Belastung. Ausgerechnet bei ihrer Nageldesignerin erfuhr sie, dass die Karlsruher Verkehrsunternehmen Fahrer suchen. „Der Mann meiner damaligen Nagelfrau arbeitet bei den VBK.“
Sie bewarb sich bei VBK und AVG – „völlig ins Blaue hinein. Ich hatte keine Ahnung, was auf mich zukommt. Tatsächlich wollte ich einfach mehr Geld verdienen und etwas Neues machen“, sagt sie unumwunden. Und die Entscheidung war genau die Richtige. „Elf Ausbilder sind wir aktuell. Ich habe das beste Team, das man sich vorstellen kann. Wir stehen zu 100 Prozent füreinander ein. Und ich habe jeden Tag Spaß bei der Arbeit.“ Das Sahnehäubchen war David: Tamara Weschler hat bei der AVG ihre große Liebe gefunden. Wir sind damals beide gefahren und uns immer wieder über den Weg gelaufen. Man hat den anderen über Funk gehört und dachte sich: ‚Nette Stimme, witzig‘. Dann hat man sich geschrieben und sich über gemeinsame Freunde näher kennengelernt“, erzählt sie strahlend. Letztes Jahr haben der heutige Leitstellenmitarbeiter und die Ausbilderin geheiratet. Ihre Hochzeitsbilder haben die beiden in einer Stadtbahn geschossen – ganz stilecht.