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KOLUMNE
TEXT: IMKE ROSEBROCK
DURCH 8O TUNNEL
UM DIE WELT!
UNTER TAGE IST ES DOCH AM SCHÖNSTEN, ODER? WO SONST LERNT MAN SO VIEL
ÜBER DIE WELT, LAND UND LEUTE DARÜBER, FINDET UNSERE AUTORIN…
Gleich hinterm Gottesauer Platz geht’s drei Milliarden Leute, die im Jahr in
abwärts: Drei, zwei, eins – und ich bin dem Netz unterwegs sind und damit
drin im Tunnel. Was haben wir mit- Japans Hauptstadt die Rangliste anfüh-
gefiebert, viele Jahre und Debatten ren lassen, ja reinpassen.
lang, und nun ist es endlich so weit!
Ich möchte mich an dieser Stelle als Die älteste U-Bahn der Welt ist übri-
echter Fan von U-Bahnen outen! Und gens die Londoner. Und wer je beim
während ich durch die nagelneue Be- Arzt in der Tomografie-Röhre gelegen
tonröhre in der Karlsruher City glei- und Beklemmungsgefühle und Platz-
te, schweift die Erinnerung ab zu all angst tapfer ausgestanden hat, müss-
den Untergrundfahrten des bisherigen te auch in der „Tube“, der Röhre, mit
Lebens – man ist ja schon ein wenig ihren abgeschrägten Seitenwänden gut
rumgekommen in der Welt. Zumindest zurechtkommen. Das ist ungefähr so,
früher, in vorpandemischen Zeiten, Beim Klassenfeind, also in New York, als würde man die ganze Zeit unter
und bevor es Greta gab… war das Konzept irgendwie anders. einer Dachschräge stehen!
Frei nach Frank Sinatra: Wer es durch Allmählich laufen sich alle warm und
Berlin, London, Paris, New York, Mos- die Subway mit ihren meist dunklen, punkten mit unnützem, aber Fernseh-
kau, São Paulo – die kleine Umfrage engen Gängen und rumpeligen Zügen quiz-tauglichem Wissen: Schanghai
unter den Kollegen sorgt für allgemei- schafft, meistert auch alles andere im habe das längste Streckennetz – näm-
ne Wehmut und Fernweh. Moskau, so Leben. lich mehr als 580 Kilometer, Kiew den
die einhellige Meinung, ist voll. Rich- „Vielleicht waren ja die Pendler in tiefstgelegenen Bahnhof – mit etwa
tig voll. Erst geht es auf nie endenden Tokio vorher alle mal zum Survival- 102 Metern.
Rolltreppen bis kurz vor den Mittel- Training im Big Apple“, denke ich, als Nach der gedanklichen Weltreise gon-
punkt der Erde, um schließlich in den ich die Berichte der Kollegin von den delt meine Stadtbahn wieder durch
wohl tiefstgelegenen Prunkbauten der sogenannten „U-Bahn-Stopfern“ auf den Karlsruher Tunnel: Man kann auf-
Welt auf den nächsten Zug zu warten. den Bahnsteigen höre, die beim Rein- recht stehen, alles ist hell und freund-
Illustration: www.stock.adobe.com/idey
Haltestellen als sozialistische Paläste drücken der Menschentrauben in die lich. Und in die Bahn muss mich auch
für die Arbeiterklasse, so der Plan beim hoffnungslos überfüllten Waggons hel- zur Rushhour niemand stopfen. Ich
Bau in den 1930ern. fen…? Irgendwie müssen die mehr als glaube, ich fahre noch ’ne Runde…
UNSER NÄCHSTES HeFT ERSCHeINT AM 30. APRIL 2022
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